Mit Schimpfen versuchen wir, uns unsere Bedürfnisse zu erfüllen und gleichzeitig kann es ein tragischer Ausdruck unserer unerfüllten Bedürfnissen sein. Tragisch, denn vielleicht wurden unsere Bedürfnisse lange nicht beachtet und sie vermutlich so wichtig sind, dass die Person, die in dem Moment schimpft, nicht mehr weiß, dass sie sie sich auch auf einem anderen Wege erfüllen könnte. Zusätzlich wird ihr das Schimpfen nicht wirklich weiterhelfen, denn die andere Seite kann keine Lust haben, ihr Bedürfnis zu erfüllen oder eine Win-Win Lösung dafür zu finden.

Schimpfen ist oft ein Ausdruck für die große Hilflosigkeit, Ratlosigkeit und die Sehnsucht, wichtige Bedürfnisse in einer Beziehung zu erfüllen. Schätzungsweise haben vorherige Bitten und andere Versuche nicht geklappt (wie bei Maria, die ihren Sohn anziehen wollte), und es fehlt an weiteren inneren Ressourcen, um weiterhin nach neuen Lösungen zu suchen. Hier und jetzt, sofort werden Effektivität und Änderung gebraucht. Vielleicht ist es der Person in dem Moment wichtig, einen Einfluss zu haben oder gesehen zu werden. Nicht zu selten schlüssig sind in solchen Momenten das Bedürfnis nach Sicherheit oder Vorhersehbarkeit. 
Das Schimpfen kann auch für jemanden eine gewöhnliche, geprüfte Strategie sein, die tief in ihrem Körper gespeichert ist. Wenn die Person in der Vergangenheit die Bedrohung der eigenen Bedürfnisse oft erlebte und beobachtete, dass das Schimpfen als eine Schutzmaßnahme dagegen effektiv ist, dann wird sie das Schimpfen beinahe automatisch einsetzten, ohne den Zugang zu anderen Strategien zu haben (denn womöglich hat die Person nie einen Konflikt mit einem Gespräch erlebt, wo es ohne sich anzuschreien nach Lösungen gesucht wird). 


Sicherheit, Einfluss, Vorhersehbarkeit, gesehen werden – dies sind alles Bedürfnisse, die für jeden Menschen universell sind. In verschiedenen Momenten werden verschiedene Bedürfnisse unterschiedlich erfüllt oder auch nicht erfüllt. Menschen kümmern sich vielfältig um ihre Bedürfnisse und die Art und Weise wie sie sich darum kümmern werden in der GfK “Strategien” genannt.  


In der GfK wird nicht bewertet, es gibt kein richtig oder falsch. Genauso das Schimpfen wird als eine von vielen Strategien für ein bestimmtes Bedürfnis angesehen. Sie ist jedoch nicht “falsch”, “schlimm”, “unhöflich” oder “unprofessionell”, sondern ein Ausdruck einer Hilflosigkeit, einer Anspannung, die bei einer Anstauung der Gefühle auf diesem Wege abreagiert wird. Das neurobiologische Wissen beweist, dass das Schimpfen manchmal eine unabhängige von uns momentane Reaktion zum Stressabbau ist. Mit “momentane” meine ich, dass sich unser Körper in dem Moment nicht anders verhalten kann. Gleichzeitig ist es keine gezielte Reaktion gegen die andere Person. 


Natürlich heißt es nicht, dass aus meiner Sicht das Schimpfen erlaubt sein sollte. Zu viele Komplikationen entstehen durch die Aggressivität und die Kampf-Einstellung. Einen viel größeren Wert sehe ich im Dialog, der Suche nach einer Verständigung und Lösungen, die Bedürfnisse aller berücksichtigen. Ich möchte damit zeigen, dass das Schimpfen eine der vielen anderen möglichen Strategien, die oft schwierig anzunehmen und wenig effektiv ist, um sich ein Bedürfnis zu erfüllen. Rosenberg schrieb: “Ärger ist ein wunderbarer Hinweis, er ist ein Wecker. Sobald ich ärgerlich werde, weiß ich, dass ich den andern nicht richtig gehört habe. Die Ursache meines Ärgers sind meine Gedanken: Statt, dass ich mich mit dem verbinde, was in dem andern vorgeht, bin ich oben in meinem Kopf und urteile, dass er irgendetwas falsch gemacht hat. Gewalt kommt von dem Glauben, dass andere Menschen unsere Schmerzen verursachen und dafür Strafe verdienen.” 


Was bringt das Schimpfen in die Beziehung was zu tun, wenn wir kurz vor Schimpfen sind? Dazu mehr in den kommenden Artikeln.
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